Brihuega: Die Lavendelfelder Spaniens

Eigentlich ist Kastilien-La Mancha im Juli gelb und braun. Die Felder und Wiesen, die im Frühjahr in einem neu geborenen grün leuchten, sind jetzt im Sommer von der sengenden Sonne längst verbrannt worden. Nur eine Region in der Heimat Quijotes blitzt aus den verblichenen Farben hervor – die Provinz Guadalajara. In der verlassenen Region La Alcarria, eineinhalb Stunden nordöstlich von Madrid, ist in der heißesten Zeit des Jahres alles lila. Zu verdanken hat sie es dem Lavendel und Lavandin, die in dichten Reihen für etwa einen Monat ihre Blüten öffnen und zu einem endlosen violetten Meer verschmelzen.

Die Lavendelfelder in Kastilien-La Mancha

Nun herrscht Hochbetrieb in Brihuega, dem Epizentrum des Lavendelanbaus in Spanien. Während in den anderen 11 Monaten des Jahres knapp 2000 Menschen in dem kleinen Ort ihrem Alltag nachgehen, strömen im Juli um die 100 000 Besucher in die violett geschmückten Gassen. Sie kommen zum Lavendelmarkt, der unter großen lilafarbenen Schirmen, veranstaltet wird; probieren Lavendelbiere und violettes Eis, riechen an betörenden Duftsäckchen und tragen die beruhigende Wirkung der Heilpflanze in Form von Ölen und Seifen nach Hause.

In jungfräulichem Weiß

Im Kontrast zu ihrer Umgebung, kommen die meisten Besucher in strahlend weißer Kleidung. Männer in farblosen Leinenhosen und lose geknöpften Hemden wandeln mit Frauen in langen Kleidern und ausfallenden Hüten durch die Gassen. Das Gesetz ist ungeschrieben, verpflichtet ist niemand. Doch trotzdem fallen die wenigen auf, die die Regel nicht befolgen. Ein bisschen kommt man sich vor wie bei einer exklusiven Party auf Ibiza oder einem besonderen Ritual, in der der ästhetische Kontrast zwischen Lila und Weiß eine ganz eigene Rolle spielt.

Die meisten der weißen Besucher trifft man bei Sonnenuntergang auf den Feldern rund um Brihuega. Manche werfen ihre Hüte in die Luft und hoffen auf einen guten Schnappschuss für ein neues Instagram-Reel. Die anderen saugen die einzigartige Atmosphäre in sich auf, die durch das warme Licht der untergehenden Sonne auf die endlosen Lavendelreihen entsteht.

Duftende Öle

Angebaut wird der Lavendel jedoch nicht für die selbstverliebten Influencer, sondern für Luxusmarken wie LOEWE. Ganze 10 % des weltweiten Lavendelöls werden in Brihuega produziert. Nur Frankreich, Bulgarien und China produzieren noch mehr. Hergestellt wird die begehrte Flüssigkeit insbesondere für Parfüms und Pflegeprodukte, aber auch für beruhigende pflanzliche Medikamente oder eben Duftsäckchen.

Geerntet wird der Lavendel im August, wenn er grau ist. Für einen Liter ätherisches Öl müssen um die 150 Kilo Blüten destilliert werden. Dafür haben sich diverse Lavendelbrennereien in der Region angesiedelt. Eine der größten gehört der Familie Corral, die heute Hauptproduzent der Gegend ist. Sie bauen den Lavendel zusammen mit anderen Bauern mittlerweile auf fast 3000 Hektar an.

Die spanische Provence

Die ersten waren sie jedoch nicht. Pionier der spanischen Provence war der Bauer Álvaro Mayoral, der in seinem Urlaub gern in die französische Provence reiste. Anfang der 1960er Jahre kam er auf die Idee, ein paar Lavendelpflanzen mit nach Hause zu nehmen und sie auf seinen eigenen Feldern einzupflanzen. Dem mediterranen Gewächs gefiel der steinige, trockene Boden der Region Alcarria so gut, dass Mayoral nach und nach seinen Lavendelanbau vergrößerte und schließlich auch andere Bauern von der Zucht der Heilpflanze überzeugen konnte. Noch immer steigen hier Landwirte von dem überwiegend angebauten Weizen und Gerste auf Lavendel um. Denn die duftende Pflanze bringt Wohlstand in die Region und gibt Familien die Chance zu bleiben.

Die urspanische Identität der Alcarria

Denn die ländliche Region La Alcarria war bis vor wenigen Jahrzehnten selbst in Spanien noch weitestgehend unbekannt. Kaum jemand verirrte sich in die karge, verlassene Gegend. Erst mit dem spanischen Literaturnobelpreisträger Camilo José Cela, der nach dem spanischen Bürgerkrieg diesen leicht hügeligen Landstrich durchwanderte, bekam La Alcarria ein wenig Bekanntheit. Auf der Suche nach der urspanischen Identität, die schon unzählige Schriftsteller vor ihm in Kastilien-La Mancha zu entdecken glaubten, hielt er seine Erlebnisse in dem Reisebericht „Un Viaje a la Alcarria“ (deutscher Titel: Ein Vagabund im Dienste Spaniens) fest. Dort erzählt er von dem ärmlichen Leben in einer vom Krieg gezeichneten Region, die trotz weniger Perspektiven vor Lebendigkeit nur so strotzte. Letzteres hat sich seitdem kaum verändert.

Ein Grund zu bleiben

Noch immer ist das weitläufige Gebiet um die Lavendelfelder geprägt von einem Phänomen, das in Spanien nicht mehr von der politischen Agenda wegzudenken ist: die Landflucht. Schon jetzt leben über 80 % der Spanier in den Großstädten des Landes. Die restlichen 20 % verteilen sich über eine Fläche, die größer ist als Deutschland. In La Alcarria sind die wenigen Jobmöglichkeiten unattraktiv geworden; die Landwirtschaft ist zu hart und wirft dabei kaum etwas ab. Die nahegelegene Hauptstadt Madrid steht dem mit seinen vielen Optionen und Angeboten wie ein gähnendes schwarzes Loch gegenüber, das nach und nach die Bevölkerung der umliegenden Dörfer und Städte auffrisst.

Der Lavendel konnte das zumindest für den Landkreis Brihuega stoppen. Anders als die vielen immer leerer werdenden Dörfer und Weiler in Alcarria, ist Brihuega kein Landkreis mehr, den man irgendwann verlassen muss. Er ist zu einem Sehnsuchtsort geworden für Menschen, die sich verzaubern lassen wollen von der Schönheit der extravaganten Blüten des Lavendels, von seinem intensiven Duft und von der Ruhe, die man beim Betrachten der Felder unweigerlich in sich spürt.

Lavendelerlebnisse

  • Der Lavendelmarkt ist nicht das einzige Spektakel, das man während der Blütezeit der Heilpflanze erleben kann. Fast jedes Jahr werden rund um Brihuega zu Ehren des Lavendels neue Erlebnisse angeboten. Eines mit Tradition ist das Lavendelfestival, dass Mitte Juli Musiker zwischen die blühenden Felder lockt und den weißen Menschen einzigartige Abende zwischen duftenden Blumen und summenden Bienen beschert.
  • Außerdem werden Fahrten in Heißluftballons über den Lavendel angeboten.
  • Die Lavendelbrennereien bieten Führungen an, in denen sie den Prozess von der Pflanzung bis zur Destillation erklären. Danach darf man oft lilafarbenen Lavendellikör probieren und ein Duftsäckchen mit nach Hause nehmen.
  • Auch auf die Felder selbst werden Führungen angeboten. Für 3 € solltest Du dir das nicht entgehen lassen.

Wo in Brihuega übernachten?

Wie du dir sicherlich vorstellen kannst, sind bei dem großen Interesse die schönen Hotels und Appartements früh ausgebucht. Deswegen habe ich mir wegen meiner Spontanität eine nette Unterkunft in Atanzón, ein kleines Dorf etwa 30 Autominuten von Brihuega gesucht. Es war sehr persönlich und herzlich. Solltest du ein bisschen planungsfreudiger als ich sein, kann ich dir diese Unterkünfte empfehlen:

Was Du in Brihuega unbedingt probieren sollest

Wie überall in Spanien, kannst du auch in Brihuega wirklich gut und lokal essen. Wenn es ein besonderes Restaurant sein soll, solltest du vor deinem Besuch auf jeden Fall reservieren. Typisch für die Küche Brihuegas ist der Einfluss aus La Alcarria, Gerichten aus Kastilien-La Mancha sowie arabischen Zutaten. Probieren solltest du also gebratenes Lamm oder Zicklein, Bohnen mit Schweineohr, Wachteln, Migas, Kaninchen mit Knoblauch oder, wenn du mutig bist, auch die Froschschenkel, die hier gern zubereitet werden. Zu vielen der Gerichte gehört natürlich das Olivenöl aus La Alcarria oder der ebenfalls in der Region produzierte Honig.

Die besten Restaurants in Brihuega

Kosten kannst du die typischen Gerichte der Region in diesen Restaurants in Brihuega:

  • El Tolmo – ein Klassiker in Brihuega mit Holzofen, in dem sie ihre Zicklein und Lämmer zubereiten
  • La Pena Bermeja – das Restaurant liegt in der Nähe der Burg und hat einen herrlichen Garten mit Feigenbäumen, in dem es sich auch in der heißesten Zeit des Jahres gut aushalten lässt. Typisch sind hier Fisch, Fleisch und Gemüse vom Grill.
  • Kiosko La Alameda – ideal, wenn du nach etwas Einfachem suchst. Die Bar liegt im Park María Cristina und bietet leckere Kleinigkeiten zusammen mit einem kühlen Getränk

Wenn du schon mal in Brihuega bist

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